Geschichte der Zukunft

2017-02-12 14:14
von Dr. Hermann Fischer

Die Chemiewende ist zwar an vielen Stellen in Forschung, Industrie und Alltagsprodukten bereits in vollem Gange, aber angesichts der die real existierende Chemie noch immer stark dominierenden Erdölbasis ist sie nach wie vor ein vor allem auf die Zukunft gerichtetes Projekt.

Die Webseite "chemiewende.de" und das gleichnamige, am 15.2.2017 im Kunstmann-Verlag erschienene Buch befasst sich daher nicht nur mit den historischen Wurzeln und dem gegenwärtigen Stand der Chemiewende, sondern vor allem auch mit deren zukünftigen Perspektiven. Sich mit der Chemiewende auseinanderzusetzen, heißt also auch immer, sich mit der Zukunft der Chemie zu befassen. Vieles an den hier und anderswo beschriebenen Konzepten für eine "postfossile", nachhaltig umwelt- und gesundheitsverträgliche Chemie hat daher auch "prognostischen" Charakter.

Daher ist es immer lehrreich, sich mit dem Entstehen und dem weiteren Schicksal vergangener Prognosen auseinanderzusetzen - auch das gehört zu einer Art "Technikfolgenabschätzung". Da kommt das neue, höchst detailreiche und lesenswerte Buch des renommierten Umwelthistorikers Joachim Radkau gerade recht.

Radkau untersucht in seiner Arbeit eingehend die Prognosen, die sich nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland mit der erwarteten technologischen, ökologischen, bildungsbezogenen und gesellschaftlichen Entwicklung (wie z.B. dem Tourismus) befasst haben. Breiten Raum nimmt in seinen Analysen die Umweltbewegung ein, die schon Gegenstand seines geradezu monumentalen Werkes "Die Ära der Ökologie: Eine Weltgeschichte" im Jahr 2011 gewesen war. Das neue Buch sensibilisiert uns dafür, mit den eigenen Prognosen über die zukünftige Entwicklung unseres Stoffgebrauchs im Zuge der angestrebten Chemiewende hinreichend zurückhaltend und selbstkritisch umzugehen, ohne den für ein so grundlegendes Projekt notwendigen überzeugenden Entwurf einer wünschenswerten stofflichen Zukunft zu vernachlässigen.

Eine besondere Freude hat Radkau dem Rezensenten bereitet, als er im Kapitel 12 über die Zukunftsentwürfe der Umweltbewegung ab S. 418 die umsichtige Art und Weise, wie der Solar-Pionier (Radkau bezeichnet ihn als "Solar-Visionär") Hermann Scheer mit der Zukunft einer nachhaltig erneuerbaren Energiegewinnung umgegangen ist. Dies freut um so mehr, als vielen Profiteuren der Energiewende nicht mehr recht bewusst ist, welchen enormen Anteil Hermann Scheer an dem Gelingen dieses vielleicht wichtigsten gesellschaftlichen Projektes unserer Zeit hatte.

Joachim Radkau: Geschichte der Zukunft: Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute. München: Hanser 2017 (544 S., € 28,-)

https://www.amazon.de/dp/3446254633/ref=rdr_ext_tmb

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