Balsam-Terpentinöl

2016-08-26 16:20
von Dr. Hermann Fischer

Balsam-Terpentinöl – neue Erkenntnisse für einen altbekannten Naturstoff

Dass man auch noch bei seit Jahrtausenden bekannten und jahrhundertelang intensiv genutzten Naturstoffen wie dem Balsam-Terpentinöl neue, überraschende Erkenntnisse gewinnen kann, zeigte sich vor kurzem durch Veröffentlichungen in den renommierten Wissenschaftszeitschriften ‚Nature‘ und ‚Science‘.

Balsam-Terpentinöl wird durch Destillation aus dem Harzbalsam von verschiedenen Kiefernarten gewonnen. Diesen Harzbalsam hat sicher jeder Waldbesucher schon einmal gesehen: es ist der bernstein- oder honigfarbene, zähflüssige Ausfluss, der sich an Verletzungsstellen der Baumrinde als natürlicher „antimikrobieller und wasserabweisender Wundverschluss“ bildet.

Dieser flüssige Harzbalsam besteht aus zwei ganz unterschiedlichen Grundkomponenten, die bei der Destillation des Balsams zu Tage treten. Da ist zum einen das (leichtflüchtige) Balsam-Terpentinöl, das durch seinen harzig-balsamisch-frischen Geruch sofort erkennbar ist und bei der Destillation in gekühlten Destillations-Vorlagen als wasserhelle Flüssigkeit aufgefangen wird. Es ist genau dieses Balsam-Terpentinöl, das einer Wanderung in einem sommerlich erwärmten Kiefernwald seine wunderbare Duftnote verleiht und uns daher als der Inbegriff „gesunder Waldluft“ gilt (zu dem die Ausdünstungen der Kiefern-Nadeln noch ihren eigenen, chemisch aber verwandten Beitrag leisten).

Der Rückstand, der bei der Destillation des zähflüssigen Kiefernharz-Balsams zurückbleibt, ist hingegen ein Feststoff. Es handelt sich dabei um das eigentliche Kiefernharz von meist hellgelber bis leicht rötlicher Farbe. Dieses Kiefernharz, das auch den schönen Namen „Kolophonium“ trägt, ist ein begehrter Rohstoff bei der Herstellung von Klebstoffen und Leimen, aber auch von Lacken und Lasuren.

Seine vielleicht „feinste“ Anwendung findet Kolophonium seit Jahrhunderten als sogenanntes „Geigenharz“: die Bögen von Streichinstrumenten wie Cello, Violine oder Viola werden regelmäßig mit diesem Kolophonium in einen Zustand ganz leichter Klebrigkeit versetzt, der gerade richtig ist, um die damit angestrichenen Saiten zur Schwingung anzuregen.

Das Destillat jedoch, also das Balsam-Terpentinöl (im Unterschied zu anderen Sorten von „Terpentinöl“ aus ganz anderen Quellen), hat eine jahrhundertelange Tradition als natürliches Verdünnungs- und Lösemittel für Farben und Lacke. Ohne Balsam-Terpentinöl hätten wir heute nicht die Meisterwerke der Malerei, wie sie in vielen Jahrhunderten entstanden sind.

Erst in den letzten Jahren ist dieser wunderbare Naturstoff etwas aus der Mode gekommen – einerseits aufgrund des Trends zu lösemittelarmen oder lösemittelfreien Farben und Lacken, andererseits aufgrund gesundheitlicher Nachteile, die den wenig bedenklichen, reinen, unverfälschten Naturstoff – zu Unrecht – durch den Einsatz minderwertiger oder ranzig gewordener, billiger Terpentinsorten oder Ersatzprodukte in Verruf gebracht hatten.
Für diesen traditionsreichen Naturstoff also gibt es nun seit Kurzem neue Erkenntnisse. Wissenschaftler haben nämlich festgestellt, dass die erwähnten, duftenden Ausdünstungen der Kiefernwälder einen nicht unerheblichen Beitrag zur Bildung von Wolken leisten!

Der Mechanismus hinter dieser wolkenfördernden Wirkung von Balsam-Terpentinöl scheint folgendermaßen zu sein. Die Bestandteile des Terpentinöls (vor allem das alpha-Pinen, das erkennbar nach der Baumart der Pinien benannt ist) gelangen nach der Verdunstung aus dem Kiefernwald in Kontakt mit dem Sauerstoff der Luft und werden dabei – beschleunigt durch Sonnenlicht – oxidiert, also in sauerstoffhaltige Moleküle umgewandelt. Diese natürlichen Umwandlungsprodukte lagern sich nun zu sogenannten Aerosolen zusammen – das sind sehr kleine Partikel, die nun in dieser Form als sogenannte „Kondensationskeime“ dienen.

Ohne solche Kondensationskeime gäbe es keine flüssigen Wassertröpfchen, die sich nämlich um solche Keime herum bilden. Und ohne solche Wassertröpfchen gäbe es eben keine Wolken, denn die bestehen bekanntlich nicht aus gasförmigem Wasser (dann könnte man sie nicht sehen), sondern aus flüssigem Wasser, eben in Form von Milliarden solcher feiner Wassertröpfchen). Also: die Ausdünstungen der Kieferbäume ermöglichen (neben anderen Stoffen wie Staubpartikeln oder Schwefelsäuredämpfen aus Vulkanausbrüchen oder Industrieschloten) überhaupt erst die Wolkenbildung.

Nun weiß man schon lange, dass Wolken einen wichtigen Beitrag zum Weltklima leisten. Sie wirken nämlich im Endeffekt dem atmosphärischen Treibhauseffekt (für den unter anderem Kohlendioxid einen wesentlichen Beitrag leistet – die seit Beginn der Industrialisierung stark steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre wird für einen Großteil des beobachteten Klimawandels und dessen zahlreiche negative Folgen verantwortlich gemacht) entgegen. Kurz gesagt fördert also das Balsam-Terpentinöl der Kiefern- und Fichtenwälder die Wolkenbildung und wirkt dadurch dem Treibhauseffekt entgegen.

Natürlich kann dieser Effekt die steigende Treibhauswirkung steigender CO2-Konzentrationen angesichts der riesigen Mengen verbrannter Stein- oder Braunkohle und Erdölderivate nicht aufheben, sondern nur dämpfen. Wir werden also trotz dieser segensreichen Wirkung des Balsam-Terpentinöls auf das Weltklima um eine nachhaltige Reduktion unseres globalen Kohlendioxid-Ausstoßes nicht herumkommen. Es ist aber dennoch bemerkenswert, dass moderne wissenschaftliche Forschung auch für einen solchen „altbekannten“ Naturstoff immer noch neue, überraschende Erkenntnis zu Tage fördert.

Evolutionsbiologen machen sich übrigens inzwischen angesichts solcher neuer Erkenntnisse Gedanken darüber, was der „evolutionäre Sinn“ der Duftstoff-Produktion der Kiefern sein könnte. Natürlich produzieren Nadelbäume das Terpentinöl nicht, damit wir Menschen den Duft der Nadelwälder genießen können (oder gar daraus Farben und Lacke produzieren können). Schließlich gab es schon Kiefernwälder, als von Menschen oder auch nur menschenähnlichen Primaten noch keine Rede sein konnte.

Diese Frage ist keineswegs trivial, denn die Bäume müssen einen erheblichen (Photo-) Syntheseaufwand betreiben, um aus Kohlendioxid und Wasser mit Hilfe von Sonnenenergie die komplexen chemischen Strukturen z.B. von alpha-Pinen aufzubauen. Aber vielleicht liegt die Lösung dieses Rätsels gerade in der wolkenfördernden Wirkung der Balsam-Terpentinöle

Die Bäume, die bekanntlich ortsfest verwurzelt sind und daher weder Hitze noch Dürre durch Ortswechsel ausweichen können, schaffen sich mit Hilfe ihrer Terpentinöl-Ausdünstungen nämlich Wolken und damit perfekte Instrumente, um genau jenen Stressfaktoren entgegenwirken zu können: übergroßer Hitze durch die Schattenwirkung der Wolken und übergroßer Dürre durch eine Wolkenbildung, die schließlich die Voraussetzung für dürremindernden Regen sind!
Die neuen Erkenntnisse zum „alten“ Naturstoff sind jedenfalls wieder einmal Anlass genug, sich über die vielfältigen Strategien der Biosphäre zur Erhaltung eines dynamischen Gleichgewichts von Umweltfaktoren zu wundern und zu freuen. sie sind auch für den Wissenschaftler vielleicht ein weiterer Anstoß, diesen Prinzipien der Evolution mit einer gewissen Demut zu begegnen: unser eigenes wissenschaftliches und industrielles Handeln lässt eine solche lebensfördernde und systemstabilisierende Langzeitwirkung nämlich nur zu oft vermissen.

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