Chemiefirmen verschleiern ihre Herkunft

2017-02-12 13:54
von Dr. Hermann Fischer
Chemiefirmen meiden ihre Tradition

Das Beispiel der neu benannten Bayer-Tochter „Covestro AG“ (bis 31. August 2015: Bayer MaterialScience AG) steht nur als derzeit letztes Glied in einer langen Kette von Umbenennungen in der chemischen Industrie.

Gaben die über Jahrzehnte – teils mehr als ein Jahrhundert lang – gepflegten Unternehmens-Namen klare Hinweise auf das Arbeitsgebiet Chemie (Farbwerke Hoechst, Farbwerke Bayer, Badische Anilin- und Soda Fabrik, Dow Chemicals usw.), so sind in den letzten Jahrzehnten die alten Namen entweder völlig abgeschafft worden oder sie wurden von einer Konnotation mit der Chemie befreit.

Den radikalsten Schritt vollzog die 1863 gegründete Hoechst AG (einst der größte Hersteller chemischer Arzneimittel weltweit): sie schaffte ihren traditionsreichen Namen gleich ganz ab und firmiert seit der Fusion mit dem Wettbewerber mit Rhône-Poulenc völlig neu als „Aventis“ und spaltete verbliebene Chemie-Aktivitäten in eine „Celanese AG“ ab.

Bayer schuf durch Abspaltung gleich mehrere Töchter mit „unverdächtigen“ neuen Namen: neben der Covestro die Lanxess AG – die immerhin in ihrem Logo noch den Nebentitel „Energizing Chemistry“ trägt und so ihr Arbeitsgebiet wenigstens nicht völlig verschleiert.

Ruft man die Website der ebenfalls traditionsreichen Dow Chemicals die Startseite „About Dow“ auf, wird man auch nicht mehr mit dem Begriff „Chemie“ erschreckt. Stattdessen erscheint der nette Slogan „Dow combines the power of science and technology to passionately innovate what is essential to Human Progress” hinter diesen so schönen wie wie nichts oder wenig sagendsen Schlagworten kann sich wohl jede und jeder versammeln – von „Chemie“ ist keine Rede mehr.

Die neuen Namen und Begriffe sind ohne jede Tradition – es sind einfach Kunstwörter, deren Auffindung durch auf „Re-Branding“ spezialisierte Dienstleister und deren weltweiter Markenschutz sicher sehr viel Geld gekostet hat. Jede Assoziation an frühere Standorte, Inhaber, Portfolien – und damit auch an frühere Umwelt- und Gesundheitsskandale – werden durch die neuen, schicken, lifestylischen Namen peinlichst vermieden.

Die neuen Namen deuten an: man will zu neuen Ufern, will sich neu erfinden, will mit Traditionen radikal brechen. So weit so gut – jedes Unternehmen der Welt hat ein Recht darauf, sich gelegentlich neu zu erfinden. Ob allerdings auch ein konzeptioneller Bruch mit der teilweise unseligen Vergangenheit (Stichwort: die Vergangenheit etlicher der genannten Firmen im IG Farben-Konzern und dessen Kollaboration mit den Konzentrationslagern der Nazis) mit der schönen neuen Namenswelt verbunden ist, muss bezweifelt werden

Die PR-Zentralen der Unternehmen bestimmen zwar die neuen Namen und Begriffe, aber die eingesetzten chemischen Rohstoffe und Verfahrensweisen bleibt davon zunächst völlig unberührt. Von „Chemiewende“, auch unter neuen Namen, kaum eine Spur.

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